Ein Gespräch mit Dr. Nora Szász über Schwangerschaftsabbrüche aus rechtlicher und medizinischer Sicht, den Umgang mit fundamentalen Abtreibungsgegner:innen und warum die Abschaffung des § 219a StGB nur ein kleiner Erfolg auf dem Weg zur Selbstbestimmung ist.

Es ist offiziell: die SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und die FDP haben sich geeinigt und unsere neue Regierung steht. Und mit ihr auch der neue Koalitionsvertrag. Die Parteien haben sich darauf geeinigt den § 219a StGB – das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – abzuschaffen. Der neue Justizminister Marco Buschmann hat bereits einen Entwurf zur Streichung vorgelegt. Das ist Grund zur Freude. Allerdings ist es nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn der Schwangerschaftsabbruch bleibt im Strafgesetzbuch und ist weiterhin rechtswidrig. 

Darüber und über vieles mehr haben wir mit Dr. Nora Szász gesprochen. Sie ist Ärztin in Kassel und führt in einer Gemeinschaftspraxis Schwangerschaftsabbrüche durch. Auch sie informiert auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche und ihre Durchführungsweise. Deswegen wurde gegen sie und ihre Kollegin ein Strafverfahren nach § 219a StGB eingeleitet.

Dieser Paragraph ist einer der vielen Gründe dafür, dass immer weniger Ärzt:innen in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Zahlen für Abbrüche sind rückläufig. In den letzten 20 Jahren sank die Zahl an Praxen und Kliniken, die den Eingriff durchführen, um fast 50 %.

Akj*: Was ist deiner Meinung nach die Hauptursache, dass immer weniger Ärzt:innen Abbrüche durchführen?

Szász: Die Frage, warum wir in einen immer ernsthafteren Versorgungsengpass für Betroffene geraten, ist sicherlich komplex. Die Hauptursache ist die grundlegende Sichtweise auf Schwangerschaftsabbrüche, nicht als eine Möglichkeit im Rahmen der sexuellen Selbstbestimmung, sich für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft zu entscheiden, sondern dass es grundsätzlich eine kriminelle Straftat ist. Das macht was in allen Bereichen der Gesellschaft. Unser individuelles Denken ist davon beeinträchtigt.

Die Ebene von uns Ärzt:innen ist, dass eine medizinische Behandlung wie ein Abbruch, grundsätzlich eine Straftat ist. Dadurch wird das auch von meiner Berufsgruppe anders gehandhabt. Wer mag sich schon gerne im Bereich von Straftaten bewegen.

Akj*: Hast du selbst strafrechtliche Maßnahmen wegen deiner Tätigkeit erfahren müssen oder hattest du in einer Situation Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen?

Szász: In unserer Gemeinschaftspraxis führen meine Kollegin und ich seit vielen Jahren Schwangerschaftsabbrüche durch. Im Jahr 2017 wurden wir von Abtreibungsgegner:innen nach § 219a StGB wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angezeigt. Wir haben uns dagegen zur Wehr gesetzt und sind in der Hinsicht angstfrei. Angstfrei in dem Sinne, dass diese massenhaften Anzeigen durch Abtreibungsgegner:innen der Einschüchterung dienen. Wenn man das politisch durchschaut hat, hat man allein schon deswegen keine Angst, weil man ihnen es nicht bieten will, davon eingeschüchtert zu sein.

Akj*: Wie ist denn das Strafverfahren gegen euch ausgegangen?

Szász: Wir waren wenige Monate vor dem Prozess gegen Kristina Hähnel selbst angezeigt worden und hatten uns auch mit ihr vernetzt. Unseren Prozess haben wir mit viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben und auch dafür gesorgt, dass unser Fall bekannt wurde, damit wir nicht in dieser Vereinzelung waren, in der die Abtreibungsgegner:innen uns gerne sehen wollten. Im August 2018 hat der Prozess vor dem Amtsgericht Kassel stattgefunden, der dann nach einem Verhandlungstag ausgesetzt wurde. Das lag auch an der Prozessführung unserer Anwält:innen. Wir haben einen Misstrauensantrag gegen den Richter gestellt, weil wir ihn teilweise als voreingenommen empfanden. Er sprach beispielsweise mehrmals von Kundinnen anstatt von Patientinnen. Das Verfahren wurde ausgesetzt und ein neuer Gerichtstermin für Januar 2019 anberaumt. 

Zu dem Zeitpunkt stand dann die Reform des § 219a StGB an und der Richter setzte das Verfahren weiter aus, bis die politische Entscheidung gefällt war. Nach der Reform bestand zumindest die Möglichkeit, auf der Website mitteilen zu können, dass Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, aber nicht durch welche Methoden. Dann entschied unser Richter das Verfahren einzustellen, obwohl wir auch über die Methoden informierten.

Das hat uns überrascht und nochmal gezeigt, dass die Rechtsunsicherheit nicht abgeschafft ist, weil es zeitgleich für den gleichen Vorwurf in Berlin eine Verurteilung gab und in Hessen dann unsere Verfahrenseinstellung. Die damalige Reform hat nicht die gewünschte Rechtssicherheit gebracht.

Akj*: Die neue Regierung will nicht an den aktuellen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch festhalten. Alle drei Parteien sind für die Abschaffung des § 219a StGB und SPD und Grüne wollen auch nicht an der aktuellen Version des § 218 StGB festhalten.

Könnte sich durch die neue Regierungsbildung endlich etwas an der gesetzlichen Lage in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche ändern?

Szász: Der § 219a StGB wird fallen und das finde ich schon mal sehr erfreulich. Das ist zwar ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt. Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bleibt weiter bestehen und es bleibt die Hoffnung, dass es unter der jetzigen Bundesregierung gelingen wird, auch den § 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Akj*: Die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, der nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist, führt auch dazu, dass momentan ein Abbruch nicht von der Krankenkasse übernommen wird. Findest du Abbrüche sollten in den Leistungskatalog aufgenommen werden? Und meinst du eine Aufnahme in den Leistungskatalog könnte zur Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen helfen?

Szász: Auf jeden Fall, zweimal ja. Der Knackpunkt ist, Krankenkassen können keine Straftaten finanzieren. Das heißt wir brauchen die Streichung, um das Ziel zu erreichen. Wir haben die Möglichkeit von Kostenübernahmen. Es gibt Töpfe, die das für Betroffene, die wenig Geld verdienen, bereits finanzieren. Aber es ist noch nicht eine generelle Kassenleistung.

Akj*: Welche sind die gängigsten Methoden zur Abtreibung? Anhand welcher Faktoren wird beurteilt, welche Methode verwendet werden soll?

Szász: Wir haben grundsätzlich die Möglichkeit des operativen oder des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs. Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch ist bis neun plus null Schwangerschaftswochen, der operative bis 14 plus null Schwangerschaftswochen nach der letzten Regel möglich. Wir setzen uns seit langem schon ein, dass die Anzahl an medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen steigt, weil die immer noch viel zu niedrig ist, was auch damit zusammenhängt, dass die Erfahrungen damit einfach noch vielerorts zu wenig existieren. Erfreulicherweise finden mittlerweile Fortbildungen dazu statt, da sind in Berlin sehr aktive Kolleg:innen. Und das fruchtet auch schon, der Anteil an medikamentösen Abbrüchen in Berlin ist zum Beispiel deutlich gestiegen. Die Workshops sind sehr beliebt und das finde ich eine sehr erfreuliche Entwicklung, auch als eine Ärztin, die seit längerem in diesem Bereich arbeitet und das auch für eine adäquate Methode hält in den frühen Schwangerschaftswochen.

Um einen Schwangerschaftsabbruch machen zu können, gibt es aber immer noch die dreitägige Wartefrist zwischen der Beratung und dem Eingriff. Und die ist in der Praxis oftmals eine Verzögerung von einer Woche. Das ist für Menschen, die entschieden sind, eine sehr unpraktische Zeitverzögerung.

Akj*: Hältst du diese Beratungsgespräche also grundsätzlich für sinnvoll oder sollten die freiwillig und nicht zwingend sein?

Szász: Ich bin auf jeden Fall für Abschaffung der Zwangsberatung. In unserer Praxis legen wir aber auch einen Fokus auf psychosoziale Betreuung von unseren Patient:innen und die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Einrichtungen und Projekten in diesem Bereich insgesamt ist eine unglaublich wichtige. Und ich schätze die Arbeit von Beratungsstellen, die ist sehr hochwertig, die sind in der Regel gut ausgebildet. Das kann auch für Frauen stützend sein.

Gespräche führen wir natürlich auch in der Praxis und wenn ich merke, dass eine Frau noch Zeit braucht, dann geh ich auch auf die Bremse. Aber es gibt eben Frauen, die sind komplett entschieden, da gibt es nicht mehr viel zu sagen, die wollen auch nicht viel reden. Das ist beides in Ordnung. Grundsätzlich ist die Beratung gut, aber als freiwilliges Angebot.

Akj*: Du hattest jetzt schon Fortbildungen und andere Veranstaltungen angesprochen. Inwiefern werden Verfahren zu Abbrüchen im Medizinstudium thematisiert oder gelehrt? Bzw. werden sie überhaupt thematisiert und ausreichend gelehrt? Oder muss man auf anderweitige Angebote zurückgreifen?

Szász: Mittlerweile ist dieser Aspekt in die Öffentlichkeit gekommen, dass wir einen Mangel in der Ausbildung haben. Das war damals bei uns im Studium tatsächlich auch kein Thema. Aber das Bewusstsein darüber, dass das ein Problem ist, war nicht so stark da, wie es heute der Fall ist. Und das liegt natürlich auch daran, dass wir heute Versorgungsengpässe und Nachwuchsprobleme haben. Da ist es natürlich wichtig, Aufklärungsarbeit zu machen. Ich finde es auch wichtig, dass es im Medizinstudium gelehrt wird, denn es ist der häufigste kleinere gynäkologische Eingriff. Jährlich haben wir 100.000 Menschen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen. Ein so häufiger Eingriff kann nicht tabu sein, der muss unterrichtet werden. Das muss nicht nur im Fachgebiet der Frauenheilkunde sein, sondern kann ruhig auch Gegenstand der Ausbildung von Allgemeinmediziner:innen sein. Ich finde es richtig, dass es in den Fachärzt:innenkatalog reinkommt und im Medizinstudium gelehrt wird, auch um der Stigmatisierung entgegen zu wirken.

Akj*: Was sind deine wichtigsten Forderungen zum Schwangerschaftsabbruch? Wie stellst du dir eine Neuregelung vor? Gibt es ein Land, das als Vorbild dienen könnte?

Szász: Für mich aus den Erfahrungen meiner Arbeit als Frauenärztin heraus kann die Möglichkeit ungewollt schwanger zu werden zum Leben dazugehören. Genau wie die Möglichkeit dies zu wollen, solange man eine Sexualität lebt, die schwanger machen kann. Das kann ich nur im Zusammenhang sehen und auch nur so behandeln. 

Neuseeland ist ein Vorbild, die auch die Einschätzung haben, dass es ein medizinischer Eingriff und eine persönliche gesundheitliche Angelegenheit von Betroffenen ist. Die Dreimonatsfrist kann meiner Meinung nach abgeschafft werden. Ich bin Fan von der kanadischen Regelung.* Diese Horrorszenarien, die fundamentalistische Abtreibungsgegner:innen predigen, dass dann Schwangerschaftsabbrüche bis kurz vor der Geburt stattfinden, trifft dort gar nicht zu. Was sich zeigt, ist, dass die Länder niedrige Raten an Schwangerschaftsabbrüchen haben, die die freiheitlichsten Regelungen haben. Die Faktoren, warum Frauen ungewollt schwanger werden, stehen nicht in Korrelation mit der Strenge der Gesetzgebung.

Akj*: Vielen Dank für das Gespräch.

*Anmerkung

In Kanada gibt es keine Fristenlösung oder andere gesetzlichen Beschränkungen. Trotzdem werden 90 % der Abbrüche vor der 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt und spätere Abbrüche finden meist wegen medizinischer Indikation statt.